Allee des Monats April 2025: Vergängliche Kirschblüte

Die Vögel zwitschern, die Sonne wärmt das Gesicht und die Luft ist schwer von Blütenduft. Der Frühling zeigt sich von seiner angenehmen Seite. Es ist die Zeit, in der Jacken wahlweise getragen oder lässig über den Arm geworfen werden, in der der Garten flott gemacht wird und aufgebrauchte Vitamin-D-Depots durch zahlreiche Spaziergänge wieder aufgefüllt werden. Die Bäume kleiden sich zunehmend in junges Laub, manche tragen bereits erste Blütendächer, die weiß- bis tiefrosafarben erstrahlen. Jährlich werden dabei neue Fotospots gekürt, um die Essenz des Frühlings möglichst eindrucksvoll festzuhalten. In diesem Jahr lohnt sich ein Abstecher in die Pestalozzistraße in Braunschweig, denn dort blüht Ende April die japanische Zierkirsche, die sich als Allee entlang von Häusern aus der Gründerzeit erstreckt.

In Japan ist diese Zeit der Blütenpracht nicht nur eine hübsche Kulisse, sondern fester Bestandteil der Kultur. Hanami, das gemeinsame Betrachten der Kirschblüte, ist ein landesweites Ritual. Unter den Bäumen wird gegessen, getrunken, gelacht und bestaunt. Denn die Blüte ist vergänglich. Nach wenigen Tagen ist sie vorbei und der Boden wird mehr und mehr von den herabfallenden Blüten bedeckt. Die Kirschblüte steht für Schönheit, ja, aber vor allem für ihre Vergänglichkeit. Und damit für einen Umgang mit Zeit, den man hierzulande selten so bewusst pflegt.

Doch nicht nur in Japan wird genau hingeschaut. Forschende wie Yann Vitasse beobachten seit Jahrzehnten, dass sich die Blühzeiten immer weiter nach vorne verschieben. Seit Mitte der 1980er Jahre treiben Pflanzen im Frühling zunehmend früher aus. Als Ursache gelten die ansteigenden Temperaturen. Die Blüten in der Pestalozzistraße sind also nicht nur ein Frühlingsbote, sondern auch ein Indikator für etwas sehr viel Größeres. Was schön aussieht, steht zugleich für eine Entwicklung, die längst aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Denn während die Zierkirschen ihre Pracht entfalten, knistert es am Boden. Die Haut ist trocken, die Regentonne leer, und der Plastikstuhl gibt beim Aufstehen noch eine kleine Entladung mit auf den Weg. Im Smalltalk mit den Nachbarn klingt es dann so: „Es ist zu trocken, die Erde braucht Wasser.“ Kurze Pause. „Aber bitte nicht zu Ostern.“

Die Allee in der Pestalozzistraße lädt ein, innezuhalten. Sie zeigt, wie fragil ein Moment sein kann, wie schnell Schönheit vergeht. Und sie erinnert daran, dass wir nicht ewig so weitermachen können, ohne dass sich etwas verändert. Vielleicht ist es an der Zeit, nicht nur die Schönheit der Natur zu betrachten, sondern auch ihre Hilferufe wahrzunehmen. Schließlich ist alles vergänglich, nichts währt ewig… aber an einem Kirschblütenbaum würden wir nicht rütteln, nur damit die Blüten schneller abfallen.

Fotos: Linus Hennecke